Sind wir ein gespaltenes Land?

Eindrücke aus der missionarischen Pfarrstelle für Kommunikation, Evangelisation und Öffentlichkeitsarbeit

von Stephan Rehm

„Hier zünden wir die Kerzen an.“ Mit diesem Motto hatte Verena Hergenröder, Bürgermeisterin von Ebersbach-Neugersdorf, Mitte Dezember eine Würdigungstafel für stabilisierende gesellschaftliche Kräfte am Rathaus aufgestellt. Sie sorgte damit bundesweit für Schlagzeilen. Protestierende hatten zuvor immer häufiger Kerzen und andere Dinge zum Beispiel vor dem Ebersbacher Rathaus hinterlassen. Die Ebersbach-Neugersdorfer wollten sich gegen die Zweckentfremdung des städtischen Raumes wehren, der Leidtragenden unter Corona gedenken und diejenigen Menschen würdigen, die Verantwortung übernehmen oder im Gesundheitswesen Lasten über die Maßen tragen.

Wie sollen wir damit umgehen, dass nun seit knapp zwei Jahren an manchen Orten unserer direkten Umgebung einige Bürger ihren Unmut auf die Straße tragen? Sonntags an der B96 oder Montags beim Spaziergang zeigen sie: Unser Vertrauen in den Staat, in die Politik, in die Wissenschaft ist zerbrochen. Andere schämen sich dieser Demonstrationen, fahren Sonntags zwischen 10 und 11 Uhr nur sehr ungern an der B96 entlang. Viele sagen es so: Unser Land ist gespalten, gerade hier in Südostsachsen. 

Als das Gottesvolk Israel politisch in Not geraten war, empfahl der Prophet Jeremia (Jer 29,7): „Sucht der Stadt Bestes und betet für sie zum Herrn, denn wenn’s ihr wohlgeht, so geht’s auch euch wohl.“ Die Demonstrationen weisen darauf hin, dass es der Stadt aus Sicht der Demonstrierenden in ihrer Gesamtheit gerade nicht wohlgeht: Was können Christinnen und Christen Gutes tun für den Staat und die Region und für die Einzelnen, die gegenwärtig ihre Not oder Wut öffentlich zeigen?

Seit Anfang des Jahres 2021 fährt in meinem Wohnort in Eibau wöchentlich ein junger Mann mit seiner „Dank-Bar“, einem Lastenrad mit Kaffeekannen, sonntags um zehn eine Tour an der B96. Er will mit den Menschen ins Gespräch kommen: Einerseits möchte er ihre Not verstehen. Andererseits möchte er aber auch fragen, wofür man denn aktuell dankbar sein könnte. Über mehrere Monate hat sich ein Vertrauensverhältnis zu einzelnen Demonstranten gebildet. Der evangelische Christ Kornelius Schmidt kann seither mit einigen über tiefgreifende Fragen sprechen. Gegenüber den Protestierenden verkörpert er die Möglichkeit, dass man sich in Notzeiten wie auch in guten Zeiten gehalten wissen kann von Gott: In der Nähe von Gott ist es schwerer, Angst zu haben. Mit Gott vor Augen kommt ein Dank leichter über die Lippen, als wenn man sich in den düsteren Gewissheiten der eigenen Blase fixiert. Einmal konnte ich dabei sein bei seiner Tour über die B96. Ein weiteres Mal bin ich seither präsent gewesen bei den jüngsten Ebersbacher Spaziergängern am Montag Abend. Das ist in der Summe nicht viel Zeit, aber die Zeit erwies sich als unerwartet reich.

Beide Male habe ich gelernt: Die verschiedenen Menschen auf der Straße haben alle nur diese eine Gemeinsamkeit: Sie bringen den Protest auf die Straße; von außen nimmt man sie leicht als homogen demonstrierende Menge wahr. Welche Erfahrung die einzelne Bürgerin allerdings genau auf die Straße treibt, das jedoch ist sehr verschieden. Was erhofft sich der einzelne Bürger vom Spaziergang? Einige haben Angst vor einem vermeintlich totalitären Staat; sie begründen das mit der kommenden Impfpflicht. Andere sind von weitaus mehr Missständen als von beschwerlichen Coronamaßnahmen über längere Zeit schon genervt (Stichwort: Lehrkräftemangel). Wieder andere fühlen sich von den öffentlich-rechtlichen Medien nur noch „verarscht“ (weil dieses Wort mehrmals deutlich zu hören war, steht es auch in diesem Text). Ich gebe zu: Die Argumente Impfpflicht, Lehrermangel und Medienkritik sind recht häufig anzutreffen. Jedoch liegen die individuellen Geschichten tiefer. Ich versuche, mich in andere hineinzuversetzen: Was beschäftigt diesen Menschen wirklich? Was sind die täglichen Freuden? Was sind die wunden Punkte der Seele, die regelmäßig aufgekratzt werden, weil das Leben halt so ist, wie es ist? Mit dieser fragenden Haltung hat sich nach zwei Besuchen bei Demonstrierenden keine Beziehung entwickelt, geschwiege denn vertieft. Es hat aber gar nicht so selten ein Gespräch gegeben, in dem ich Dinge lernte, die nur diese eine Person mir hätte sagen können: Wie sich das anfühlt als Fahrradhändler im Jahr 2021 mit Existenzangst unter Corona-Bedingungen; wie sich das anfühlt, aufgrund des Status, nicht geimpft zu sein, als Pandemietreiber beschimpft zu werden, obwohl man andere Maßnahmen gewissenhaft mitträgt; ja, und auch, wie sich das anfühlt, von der eigenen Kirche zu spät oder gar nicht bestärkt zu werden, nach der langen Coronazeit den zwischenmenschlichen Kontakt wieder aufzunehmen. Dabei sind wir als Kirche doch auf die Gemeinschaft untereinander angewiesen. Für alle diese Geschichten habe ich keine umfassende Antwort, oft kann ich lediglich zeigen: Ich bin betroffen; deine Geschichte berührt mich gerade jetzt für einige Minuten intensiv. Ich habe ein offenes Ohr, manchmal habe ich eine klärende Nachfrage. Prinzipiell jedoch habe ich das Gefühl, dass genau dies, eine offene, interessierte Haltung, gerade in der heutigen Zeit derartig Mangelware ist, dass schon der Fakt, dass da jemand engagiert zuhört, einen Akzent setzt: „Hier schenkt jemand Zeit“, das ist in unserer Lebenswelt ein Ausnahmegefühl. Das Gefühl bleibt haften. Richtig, die aktuelle gesellschaftliche Lage ist so komplex wie nie zuvor. Wenn eine Nachfrage hilft, Ebenen zu trennen, dann ist die Wut schon nicht mehr so stark. Zu fragen: Wofür können wir aktuell dankbar sein?, das ist das beste Heilmittel gegen Resignation. Bei alldem habe ich noch nicht hervorgehoben, dass mein Glaube mich trägt und auch bewegt. Das muss ich oft gar nicht ausdrücklich sagen; es liegt in der Luft.

Meine Identität als Christ und meinen Auftrag als Pfarrer habe ich bisher selten von mir aus offengelegt. Trotzdem führen meine Ausdrucksweise und der fehlende Dialekt oft nach wenigen Minuten dazu, dass die Leute wissen: Sie sprechen mit einem Pfarrer. Trotzdem bin ich froh, meinen Auftrag bei Bedarf benennen zu können: Ich bin im Rahmen meiner 50%igen missionarischen Pfarrstelle von der Kirchenbezirkssynode beauftragt, den politisch-gesellschaftlichen Bürgerdialog zu fördern. Das ist mir wichtig, denn die Gefahr ist klar: Eine Demonstration kann durch politisch zweifelhafte Zwischenrufe „kippen“ oder durch verfassungsfeindliche Zeichen oder durch Teilnehmende, die sich mehr oder weniger offen rechtsradikal einordnen lassen. Dann kann ich offiziell per Dienstausweis beglaubigen: Ich bin im versöhnlichen Auftrag hier. „Sucht der Stadt Bestes“ und das Motto des Ebersbach-Neugersdorfer Bürgerdialogs „Sprichst du mit mir?“ bestärken mich, dabei zu bleiben: Wir müssen miteinander reden. Die Spaltung in den Köpfen ist real. Die Geschichten Einzelner und die seelsorgliche Dimension, welche diese Gespräche schnell bekommen, zeigen aber: Zuzuhören, nachzufragen, Gedanken des Glaubens einzubringen, das ist im Kern missionarisch. Ich bin fest davon überzeugt: Nach einem Gespräch auf der Straße gehen alle Beteiligten verändert nach Hause.

Auf der Straße bin ich zuerst Mensch – wie die anderen Bürgerinnen und Bürger auch, die versuchen, auf Demonstrationen oder Spaziergängen ins Gespräch zu finden, ohne diese Protestaktionen ideell mitzutragen. Informelle Gespräche bieten am ehesten die Chance, Spaltungen zu mindern, so dass Frieden wächst. Es wäre gut, wenn diese Chance von weiteren Christinnen und Christen wahrgenommen werden würde - am Besten mit einem institutionellen Auftrag zum eigenen Schutz in einer möglichen heiklen Situation. Ich glaube, Menschen mit persönlichem Glauben und kirchlicher Bindung sind im gesellschaftlichen Gespräch gerne gesehen. Allein schon die Vernetzung mit allen, die sich nach Frieden sehnen, bringt uns in diesen Zeiten entscheidend voran. Wer gemeinsam nach Frieden sucht, der lebt nicht in einem gespaltenen Land. Lasst uns deshalb weiter Straßenrandgespräche führen! Ich bin dabei.

Stationenweg Hoffnung

Vielleicht haben Sie in den letzten Wochen die bunten Kreuze an Ihrer Kirche entdeckt? Am ersten Sonnabend der Passionszeit haben wir in fast allen Gemeinden unseres Kirchspiels einen Passionsweg aufgebaut. Der Weg weicht von dem klassischen Modell ab, denn er nimmt nicht direkt die Leiden Christi in den Blick. Aber er nimmt in den Blick, woran Jesus, woran Gott in dieser Welt gelitten hat und leidet. Doch will der Weg nicht in Leiden und Hoffnungslosigkeit verharren. In den Texten, die uns auf dem Weg durch die Passionszeit begleiten, gibt es immer eine Hoffnungsperspektive.

Noch bis in die Osterwoche kann der Weg besucht, Texte gelesen und bedacht, Rätsel gelöst, Aufgaben erfüllt und vieles mehr werden. Ganz herzliche Einladung, vorbei zu schauen.

Im Namen der Verkündigungsmitarbeiterinnen und Verkündigungsmitarbeiter im Kirchspiel, Pfn. F. Hecker

Idee: Gebetskreis für das Kirchspiel

Gebet ist: Atmen vor Gott, zur Ruhe kommen, eintauchen in Gottes Gegenwart, hören auf seine Stimme, Anbetung, laut und leise, Gesang und Klage, Dienst ...

Es gibt so viele Probleme. Die Tagesordnungen unserer Sitzungen sind reichlich gefüllt. Warum nicht dies alles vor Gott bringen und das Wort von Jesus ernst nehmen: „Wenn zwei unter euch eins werden auf Erden, worum sie bitten wollen, so soll es ihnen widerfahren von meinem Vater im Himmel.“ (Matth. 18,19)

Wer betet gern? Wer würde sich Pfr. Stephan Rehm und Pfrn. Karin Baudach anschließen, um regelmäßig miteinander zu beten? Die zeitlichen Abstände und der Ort des Treffens sind offen und können gemeinsam abgesprochen werden. Bitte melden Sie sich bei Pfrn. Karin Baudach oder bei Pfr. Stephan Rehm.

Keine Langeweile im Gottesdienst

Nicht immer kann es einen Kindergottesdienst in den Gemeinden geben, und trotzdem sind Kinder immer herzlich willkommen. Damit den Kindern dann die Zeit schnell vergeht, gibt es nun in einigen Gemeinden des Kirchspiels (Ebersbach, Neugerdorf, Eibau-Walddorf, Schönbach-Dürrhennersdorf) Beschäftigungskisten für jedes Alter: Kindergarten, Grundschule und  ab 5. Klasse. Dafür wurden mit Hilfe von sieben Frauen aus verschiedenen Gemeinden an einem Schuhkarton-Bastel-Abend 60 Schuhkartons geklebt und gefüllt. Herzlichen Dank an die Helferinnen!!! Also, liebe Kinder, kommt doch mal wieder mit in den Gottesdienst und seid gespannt, was euch in den Kisten erwartet!

Lausitz Kirchentag

24. bis 26. Juni 2022, Görlitz

Fünf Kirchenkreise aus zwei Landeskirchen laden gemeinsam zum LAUSITZ KIRCHENTAG nach Görlitz ein. Das Begegnungswochenende in der Lausitz feiert Gemeinschaft über Kirchgemeinde- und Landeskirchengrenzen hinweg und gibt ein buntes Glaubenszeugnis in die Region.

Seien Sie dabei und werden Sie ein Teil dieses Festes! Wenn Sie den LAUSITZ KIRCHENTAG als Helferin oder Helfer unterstützen wollen, dann sprechen Sie uns gerne an. Wir brauchen noch Menschen für Auf- und Umbauten, Bühnenbetreuung, Besucherlenkung und am Servicepoint. Nutzen Sie die Gelegenheit, sich bei einer Großveranstaltung einzubringen. Ein spannender Blick hinter die Kulissen ist garantiert. Kontakt: Mathias Scheufele, m.scheufele@zdw.ekbo.de.

Neben jeder Menge Musik können Sie sich auf Open-Air Gottesdienste, ein bunt gemischtes Programm in thematischen Zentren, Tagzeitgebete und spirituelle Momente, den Markt der Möglichkeiten und jede Menge gute Gespräche und nette Begegnungen freuen. Erleben Sie die Konzerte des Sängers Samuel Rösch und der a capella Band »Alte Bekannte«. Pilgern Sie zum Heiligen Grab in Görlitz oder beteiligen Sie sich an lebhaften Diskussionen über (lokal)politische, kirchliche und wirtschaftliche Themen auf dem Roten Sofa. Der LAUSITZ KIRCHENTAG lädt unter anderem zum Austausch über Diakonie, Mission, Kirche und Gesellschaft, Ökumene, sozialen Frieden, Jugend und Bildung ein.

Mit dabei sind die Ministerpräsidenten Michael Kretschmer und Dr. Dietmar Woidke, die Bischöfe der einladenden Landeskirchen Dr. Christian Stäblein (EKBO) und Tobias Bilz (EVLKS), Bischof Wolfgang Ipolt (Görlitz), Propst Joachim Lenz (Jerusalem), der Israel-Experte Prof. Dr. Dr. Dr. h.c. Dieter Vieweger, der Autor Dr. Johannes Stemmler, Pastorin und Leiterin »Kirche im Dialog«
Dr. Emilia Handke und die Journalistin Christine Keilholz. Viele weitere Gäste werden den Austausch zu den Themenschwerpunkten bereichern.

Das Jugend-Areal lädt zu Workshops, sportlichen Aktivitäten mit Bubble-Fußball und Kletterwand, Chillout-Ecken und guten Gesprächen ein. Die Theatergruppe der evangelischen Jugend Oberlausitz plant gerade ein Theaterstück mit Jugendlichen für Jugendliche. Für Kinder und deren Familien wird es unter anderem eine musikalische Familienshow mit Sebastian Rochlitzer (https://www.sebastian-rochlitzer.com/) geben. Der Kinder-und Jugendzirkus Applaudino lädt zu einem kreativen Mitmach-Programm ein – jonglieren, Einrad fahren und Akrobatik.

Planen Sie jetzt schon Ihr Wochenende in Görlitz. Wir freuen uns auf Sie!

Mehr Infos und das volle Programm finden sich unter www.lausitzkirchentag.de, bei facebook und instagram.

Tel. +49 (0) 3581 – 8783095
mobil: +49 (0)152 – 23289954
antje.huettig@gemeinsam.ekbo.de
www.lausitzkirchentag.de